Dschihadistische Rechtfertigungsnarrative und mögliche Gegennarrative

Die Attraktivität von Salafismus und Dschihadismus beruht vor allem auf der Effektivität ihrer Rechtfertigungsnarrative, mit denen das eigene Denken und Handeln begründet wird. Dschihadistische Rechtfertigungsnarrative legitimieren vor allem gewalttätige Aktionen gegen vermeintliche Feinde des Islams, zu denen auch Muslime gezählt werden, die die eigene Ideologie nicht teilen. Das Spektrum der gewalttätigen Aktionen, die rechtfertigt werden, ist groß. Es reicht von Straßenschlachten mit der Polizei bis hin zu Anschlägen auf die Zivilbevölkerung oder die Teilnahme an kriegerischen Auseinandersetzungen.

Film "Rechtfertigungsnarrative" |  Länge 9"57' |  Realisation Philipp Offermann, Julian Junk, Svenja Gertheiss, Thea Riebe |  HSFK 2016

Dschihadistische Rechtfertigungsnarrative sind aus religiösen, politischen und sozialen Teilnarrativen zusammengesetzt, die auf bestehende Missstände verweisen und daraus ihre Überzeugungskraft gewinnen. So werden etwa zivile Opfer bei Militäreinsätzen westlicher Regierungen als repräsentative Beispiele für einen angenommenen globalen Krieg des Westens gegen die Muslime stilisiert, der ein sofortiges Eingreifen eines jeden Gläubigen notwendig mache. Komplementär zu dieser Schwarz-Weiß-Perspektive auf Außenpolitik wird auch die innenpolitische Situation für Muslime in Deutschland als unerträglich geschildert. Man verwehre Muslimen, so das salafistisch-dschihadistische Narrativ, durch staatliche Maßnahmen und Restriktionen die Ausübung der eigenen religiösen Praxis.

Die dschihadistische Propaganda bettet diese vermeintlichen Missstände in ein geschlossenes Weltbild ein, das den als problematisch empfundenen Ist-Zustand mit einem verlockenden Zukunftsszenario kontrastiert: Die Welt unter der Herrschaft des Islams sei eine gerechte und nach den Vorgaben Gottes geordnete Welt, die den Einzelnen ein glückliches Leben beschere. Eine solche Zukunftsvision setzt eine strenge Regulierung aller sozialen Bereiche im öffentlichen und privaten Raum voraus. Dies gilt auch für die Festschreibung der Rollen von Frauen und Männern. Emanzipation und Gleichberechtigung der Geschlechter gelten als Übel des Westens, da sie weder der Natur der Frau noch der des Mannes Rechnung trügen.

Zwischen Ist- und Soll-Zustand der Welt liegt, so die salafistisch-dschihadistische Ideologie, die Zeit des Überganges, die durch Mission (daʿwa) und Kampf (dschihad) gekennzeichnet ist. Dieser Kampf erscheint in Werbeschriften und -videos als heroische Aktivität und zielt vor allem auf Jugendliche ab, die sich marginalisiert fühlen und unter einem Anerkennungsdefizit leiden. 

Gegen die dschihadistischen Rechtfertigungsnarrative argumentieren nicht-gewalttätige Salafisten, nicht-salafistische Muslime und Nicht-Muslime. Diese sogenannten Gegennarrative, die in der untenstehend verlinkten ausführlichen Studie systematisiert werden, sollten in der Präventions- und Deradikalisierungsarbeit zukünftig eine größere Rolle spielen.

Handlungsempfehlungen

  1. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist weitestgehend ungeklärt, wie und bei welchen Zielgruppen salafistisch-dschihadistische Rechtfertigungsnarrative tatsächlich erfolgreich sind. Deshalb ist substanzielle Grundlagenforschung zu den Wirkungen verschiedener Rechtfertigungsnarrative dringend angeraten, um besser zu verstehen, warum Jugendliche sich dschihadistischen Gruppen anschließen und um passgenaue Präventions- und Deradikalisierungsmaßnahmen zu entwickeln.
  2. Von staatlicher Seite gilt es, die Demokratieerziehung an Schulen weiter zu stärken. Dabei sollte man auch gemeinsam mit muslimischen Gemeinden überlegen, welche Art der Theologie Jugendlichen vermittelt werden sollte, um Integration und gesellschaftliche wie politische Teilhabe nicht zu gefährden. Dabei muss unbedingt auch mit muslimischen Vorbildern gearbeitet werden, um dem Narrativ, als „Muslimin und Muslim“ ohnehin nicht erfolgreich sein zu können, sichtbare Gegenbeispiele entgegensetzen zu können.
  3. Es bedarf mehr Anstrengung bei der Entwicklung und Platzierung von Gegennarrativen. Es gibt bereits Versuche, Gegennarrative erfolgreich offline und online zu platzieren. Jedoch gelingt es erst langsam, diese Pilotprojekte attraktiv, d.h. in der Sprache und Lebenswelt der Jugendlichen zu gestalten. Hier sollte von Seiten der Wissenschaft und von Seiten der Politik mehr investiert werden – vor allem auch in systematische Evaluation der Wirksamkeit verschiedener Formate.

Studie

Christoph Günther, Mariella Ourghi, Susanne Schröter, Nina Wiedl 
Dschihadistische Rechtfertigungsnarrative und mögliche Gegennarrative, HSFK-Report Nr. 4/2016 (HSFK-Reportreihe „Salafismus in Deutschland“, hrsg. von Janusz Biene, Christopher Daase, Svenja Gertheiss, Julian Junk, Harald Müller). [download]