Prävention und Deradikalisierung

Um Radikalisierungsprozessen effektiv vorzubeugen und entgegenzuwirken, ist es wichtig, aus bestehenden Ansätzen und Erfahrungen der Präventions- und Deradikalisierungsarbeit zu lernen und diese systematisch weiterzuentwickeln.

Film "Prävention und Deradikalisierung" |  Länge 8"53' |  Realisation Philipp Offermann, Julian Junk, Svenja Gertheiss, Thea Riebe |  HSFK 2016

Prävention zielt darauf ab, im Vorfeld (primäre Prävention) oder in den Anfängen eines Radikalisierungsprozesses (sekundäre Prävention) Alternativen zu salafistischen Deutungs- und Gemeinschaftsangeboten sichtbar zu machen und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Präventive Ansätze beinhalten sowohl inhaltliche Auseinandersetzungen mit demokratie- und freiheitsfeindlichen Einstellungen wie auch die Förderung eines reflektierten Umgangs mit Fragen von Religion, Identität und Zugehörigkeit. Präventionsarbeit muss möglichst koordiniert von einer Vielzahl von Akteuren geleistet werden: in der Schule, in der politischen und religiösen Bildungs- sowie in der Jugend- und Sozialarbeit; muslimische Gemeinden sind ebenso beteiligt wie MitarbeiterInnen der kommunalen Verwaltungen und der Polizei. Mit der Vielfalt der Projektlandschaft, welche uneingeschränkt zu begrüßen ist, wächst auch der Bedarf nach fundiertem Wissen. Dabei zeigt sich, dass die begleitende Evaluierung von Projekten sowie der Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Akteuren und Ansätzen auf eine viel breitere Basis gestellt werden muss.

Im Vergleich zur Präventionsarbeit konzentriert sich die Distanzierungs- und Deradikalisierungsarbeit (auch tertiäre Prävention genannt) auf Personen, die bereits in salafistischen Szenen aktiv sind und entsprechende Ideologie und Handlungsweisen übernommen haben. Während Distanzierungsarbeit die Abkehr von Gewalt anstrebt, zielt Deradikalisierung ausdrücklich auch auf eine ideologische Veränderung im Sinne einer Loslösung von salafistischen Einstellungen und Orientierungen. Für die Entwicklung entsprechender Ansätze lässt sich an die Erfahrungen aus der Ausstiegsarbeit im Bereich des Rechtsextremismus und aus der Arbeit mit Angehörigen von Sekten zurückgreifen. In Deutschland verfügen verschiedene Träger über mehrjährige Erfahrungen. Dabei lassen sich systemische Beratungsansätze von Ansätzen aufsuchender Jugendarbeit unterscheiden. Der systemische Ansatz bezieht das soziale Umfeld ein und versucht, über Angehörige und Freunde positiv auf die betroffene Person einzuwirken. Die Besonderheit aufsuchender Jugendarbeit liegt hingegen darin, dass sie nicht vorrangig Angehörige, sondern radikalisierte Personen über lebensweltnahe Ansprachen und niedrigschwellige Angebote selbst adressieren. Beide Ansätze sind gleichermaßen wichtig.

Handlungsempfehlungen

  1. Es bedarf einer flächendeckenden Demokratiepädagogik, die alle Jugendlichen unabhängig von ihrer Herkunft und Religion erreicht. Insbesondere in der schulischen Unterrichtsentwicklung müssen entsprechende Themen in Lehrpläne und Lernmaterialien integriert werden.
  2. Es sollten wirkungsvolle Gegennarrative geschaffen werden, die von Jugendlichen wahrgenommen und rezipiert werden; das Internet bietet hierfür das ideale Medium. Projekte, die den Bedeutungszuwachs von Online-Medien im Alltag von Jugendlichen und jungen Erwachsenen aufgreifen und entsprechende alternative (nicht-religiöse und religiöse) Angebote entwickeln, können einen wichtigen Beitrag zur Prävention leisten.
  3. Auch weiterhin sollten unterschiedliche Projekttypen und -ansätze eine Förderung erfahren. Gleichzeitig ist es unerlässlich, dass sie von Anfang an durch flächendeckende wissenschaftliche Evaluierung begleitet werden.
  4. Aus- und Fortbildungsprogramme für Fachkräfte in Schulen, Jugendhilfe, Verwaltung, Polizei, Jugendvollzugs- und Jugendarrestanstalten müssen gestärkt und teilweise erst mit deutlich mehr Mitteleinsatz als bisher entwickelt werden, um zu einer weiteren Professionalisierung der Präventions- und Deradikalisierungsarbeit beizutragen. 

Studie

Aladin El-Mafaalani, Alma Fathi, Ahmad Mansour, Jochen Müller, Götz Nordbruch, Julian Waleciak
Ansätze und Erfahrungen der Präventions- und Deradikalisierungsarbeit, HSFK-Report Nr. 6/2016 (HSFK-Reportreihe „Salafismus in Deutschland“, hrsg. von Janusz Biene, Christopher Daase, Svenja Gertheiss, Julian Junk, Harald Müller). [download]