Kontinuierlicher Wandel. Organisation und Anwerbungspraxis der salafistischen Bewegung

Salafistische Bewegungen traten in Deutschland erstmals in den Jahren 2003 und 2004 wahrnehmbar an die Öffentlichkeit. Seitdem haben sie eine anpassungsfähige Infrastruktur etabliert, um vor allem junge Menschen für ihre Ideen zu mobilisieren. Salafismus wird als Glaubens- und Weltanschauung in Vereinen, Moscheen, im Internet (vor allem in sozialen Netzwerken) aber auch in kleinen Gruppen und von Einzelpersonen praktiziert. Zudem betreiben seine Anhängerinnen und Anhänger einen regelrechten Personenkult um einzelne Prediger. Letztere pflegen untereinander eine flache Hierarchie und unterhalten enge Beziehungen.

Film "Salafistische Organisation und Anwerbungspraxis" |  Länge 7"27' |  Realisation Philipp Offermann, Julian Junk, Svenja Gertheiss, Thea Riebe |  HSFK 2016

Die deutsche salafistische Bewegung lässt sich grob in zwei Strömungen teilen: die puristische, die sich auf die religiöse Glaubenspraxis beschränkt, und die politische, die einen gesellschaftlichen Umgestaltungsanspruch hat. Letztere wiederum ist durch die Gewaltfrage gespalten. Eine Minderheit des politischen Spektrums legitimiert den Einsatz von politischer Gewalt (den bewaffneten Dschihad) als angemessen und notwendig, wenn „der Islam“ oder „die Muslime“ angegriffen oder unterdrückt werden. Die puristische Szene ist in Deutschland bislang kaum erforscht.

Trotz der Ausdifferenzierung der deutschen salafistischen Szene in dynamische Netzwerke, unterscheiden sich die einzelnen politischen Strömungen kaum in ihren Anwerbungspraktiken. Diese sind vorwiegend auf eine jugendliche Zielgruppe zugeschnitten und bedienen sich plakativer Aktionen und Parolen. Mit persönlichen Ansprachen, Street-daʿwa (Straßenmission), Infoständen, Seminaren und weiteren Propagandaaktivitäten wird versucht, Muslime „zurück auf den richtigen Weg“ zu führen oder Nicht-Muslime durch den Übertritt zum salafistischen Islam für die Etablierung einer „besseren Ordnung“ zu gewinnen.

Darüber hinaus hat sich eine militante Jugendsubkultur (Pop-Dschihadismus) entwickelt, deren Anhänger sich von den etablierten Predigern ablösen und eigene Führungsfiguren hervorbringen. Salafistischem Gedankengut inhärent ist das Gebot zur Abschottung und Abwertung von andersdenkenden Musliminnen und Muslimen und Menschen ohne muslimischen Glauben. Die Zweiteilung der Gesellschaft, das Schüren von Ängsten und die Festigung von Vorurteilen und Klischees sind Teil der salafistischen Anwerbungsstrategie.

Handlungsempfehlungen

  1. Es bedarf einer grundsätzlichen Stärkung demokratischer Erziehungsstrukturen. In der Jugend- und Sozialarbeit sollten Hilfenetzwerke etabliert werden, um alternative Rollenmodelle für Jugendliche zu entwickeln. Insbesondere sind Angebote nötig, in denen Jugendliche ihre politische Vorstellungen diskutieren und Fragen an ihre Rolle im Leben und in der Gesellschaft stellen können.
  2. Um die Begründungsmuster salafistischer und dschihadistischer Propaganda zu brechen, bedarf es muslimischer Vorbilder und anderer starker Persönlichkeiten mit guten Kenntnissen der muslimischen Theologie. Sie sind in der Lage, ideologische Narrative zu entkräften. Diesen Ansatz können Aussteiger besonders glaubwürdig unterstützen. Entsprechende Projekte müssen sich zwingend für muslimische Partner öffnen.
  3. Der Austausch und die Netzwerkbildung zwischen Sicherheitsbehörden, Zivilgesellschaft, Jugendämtern und Schulen sollte gestärkt werden. Bislang wird vorhandenes Wissen noch zu selten geteilt. Deshalb bedarf es einer intensiven Kooperation zwischen den verschiedenen Akteuren, um gemeinsame Strategien zu entwickeln und Hand in Hand tätig zu werden – beispielsweise, wenn es um die Implementierung von Früherkennungsmechanismen und Deradikalisierungsmaßnahmen geht.

Studie

Marwan Abou Taam, Claudia Dantschke, Michael Kreutz, Aladdin Sarhan 
Kontinuierlicher Wandel. Organisation und Anwerbungspraxis der salafistischen Bewegung, HSFK-Report Nr. 2/2016. (HSFK-Reportreihe „Salafismus in Deutschland“, hrsg. von Janusz Biene, Christopher Daase, Svenja Gertheiss, Julian Junk, Harald Müller). [download]