Wege in die Gewalt. Motivationen und Karrieren salafistischer Dschihadisten

Deutschland ist seit 2008 auch Herkunftsland von Dschihadisten. Warum jedoch schließen sich vor allem junge Frauen und Männer dschihadistischen Gruppen an? Was unterscheidet sie von nichtmilitanten Salafisten, und welche Bedingungen haben zu ihrer Radikalisierung bis hin zur Gewaltbereitschaft geführt?

Film "Motivationen und Karrieren" |  Länge 7"51' |  Realisation Philipp Offermann, Julian Junk, Svenja Gertheiss, Thea Riebe |  HSFK 2016

Radikalisierungsprozesse hängen von mehreren Faktoren ab: Alter, Bildungsstand oder Einkommen können ebenso eine wichtige Rolle spielen wie familiäre Hintergründe und die Interaktion in islamistischen Milieus und Organisationen. Doch auch psychische Faktoren wie etwa der Wunsch nach Anerkennung oder eine jugendspezifische Abenteuerlust, können Radikalisierungsprozesse fördern. Gerade Menschen, die unter persönlichen Diskriminierungen oder Frustrationen leiden, sind besonders anfällig für die Identifikation mit gewaltbereiten Gruppierungen und deren Ideologien. Durch das ausschließliche Bekenntnis zum strengen Werte- und Normensystem des fundamentalistischen Islams wird scheinbar eine Last von den jeweiligen Personen genommen: Man weiß wieder sicher, wer man ist und was von einem erwartet wird. Zugleich wird man Teil eines Kollektivs, in dem strenge Werte und Normen starke Gefühle von Gemeinschaft und Geborgenheit erzeugen. 

Die Befunde einer aktuellen Analyse der deutschen Sicherheitsbehörden (Analyse 1 und Analyse 2) zu den biographischen Hintergründen von Ausreisenden nach Syrien legen nahe, dass der typische deutsche Dschihadist aus benachteiligten städtischen Gegenden stammt, selten über eine solide wirtschaftliche Perspektive verfügt und in der Folge offenbar nicht viel zu verlieren hat. Außerdem stammen Personen, die sich nach ihrer Ausreise aus Deutschland terroristischen Organisationen wie dem Islamischen Staat anschließen, zu einem nicht unerheblichen Teil auch aus einem allgemeinkriminellen Milieu. 

Allerdings finden sich unter den radikalisierten Personen auch solche mit relativ „normalen“ Sozialisationen und Biografien. Zudem legen Interviews mit Experten und Syrien-Rückkehrern die Vermutung nahe, dass der Schritt in den Dschihadismus weniger theologisch-ideologisch motiviert ist, sondern vielmehr aufgrund seiner Kompensationsfunktion attraktiv zu sein scheint. Emotionale Probleme lassen sich durch heroische Selbststilisierungen kompensieren, labile psychische Strukturen auf diese Weise stützen. 

Handlungsempfehlungen

  1. Es bedarf einer stärkeren Förderung von praxis- und problemrelevanter Forschung zu Motivlagen und Biografien von Dschihadistinnen und Dschihadisten. Dabei sollte ein besonderer Fokus auf den Radikalisierungskarrieren von Frauen und Konvertiten liegen, da diese zusätzliche Fragen aufwerfen.
  2. Im Bereich der Deradikalisierungs- und Präventionsmaßnahmen bedarf es der systematischen Vernetzung von Zivilgesellschaft, Politik, Justiz, Sicherheitsbehörden und Medien. Diese Vernetzung muss konkret in kommunalen Projekten umgesetzt und gelebt werden.
  3. Kompetenzen im Umgang mit Islam im Allgemeinen und Salafismus und Dschihadismus im Besonderen müssen in den Schulen stärker gefördert werden. Durch einen bekenntnisorientierten Islamunterricht können Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzt werden, zwischen Religion und Tradition zu unterscheiden und so einen selbstbestimmteren Umgang mit der Religion zu erlernen. Dafür sind Lehrerinnen und Lehrer entsprechend auszubilden.
  4. Das Eskalationsniveau in der Debatte über Extremismus, Salafismus und Dschihadismus sollte von allen Beteiligten (aus Politik, Medien, aber auch dem Bildungs- und Sozialbereich) niedrig gehalten werden – beispielsweise, indem nicht von „Krieg“ gegen „den Dschihadismus“ gesprochen wird, wenn es um die Auseinandersetzung mit radikalen Weltbildern in Deutschland geht. Förderlich für eine solch neue Debattenkultur ist ein reger Informationsaustausch zwischen Wissenschaft, Politik, Medien, Zivilgesellschaft, Religionsgemeinschaften und Sicherheitsbehörden (z.B. durch regelmäßige gemeinsame Workshops).

Studie

Wolfgang Frindte, Brahim Ben Slama, Nico Dietrich, Daniela Pisoiu, Milena Uhlmann, Melanie Kausch 
Wege in die Gewalt. Motivationen und Karrieren salafistischer Jihadisten, HSFK-Report Nr. 3/2016. (HSFK-Reportreihe „Salafismus in Deutschland“, hrsg. von Janusz Biene, Christopher Daase, Svenja Gertheiss, Julian Junk, Harald Müller). [download]